Todesopfer der Proteste im Iran ab September 2022 sind jene Menschen, die im Verlauf der landesweiten Proteste im Iran seit September 2022 durch Vertreter der Islamischen Republik Iran gewaltsam getötet wurden. Auslöser der Proteste war der Tod der 22-jährigen kurdischen Iranerin Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 in Teheran. Sie starb wahrscheinlich infolge von Schlägen der islamischen Religionspolizei, die sie wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das staatliche Hidschāb-Gesetz festgenommen hatte.

Bei den folgenden Protesten werden viele meist junge Frauen und Männer, auch Minderjährige, auf offener Straße erschossen oder erschlagen, in Haft ermordet, sterben infolge von Misshandlungen und Folter oder werden nach Schauprozessen hingerichtet. Die Täter sind in der Regel männliche Angehörige der Religionspolizei, der paramilitärischen Basidschmilizen, der iranischen Revolutionsgarde (IRGC) oder Gefängniswächter. Die Tötungen und Misshandlungen erfolgen planmäßig auf Befehl des Regimes, sollen die Proteste mit rücksichtsloser Gewalt unterdrücken und die Bevölkerung von weiterer Teilnahme abschrecken. Sie gelten international als schwere Menschenrechtsverbrechen.

Dokumentationen

Seit Beginn der Proteste haben Menschenrechtsorganisationen, auf den Iran spezialisierte Nachrichtenagenturen, Qualitätsmedien sowie im Inland und Ausland tätige iranische Oppositionsgruppen laufend Zeugenberichte aus dem Iran gesammelt, die Angaben so weit wie möglich überprüft und dann Berichte zu den zuverlässig identifizierten Todesopfern und wesentlichen Informationen zu ihren Todesumständen veröffentlicht. Dokumentationen dazu stammen unter anderen von den Human Rights Activists in Iran (HRA) und ihrer Nachrichtenagentur Human Rights Activists News Agency (HRANA), Iran Human Rights (IHR), dem Iran Human Rights Monitor (IHRM), IranWire, Iran International, Amnesty International (AI), der Hengaw Organization for Human Rights (Hengaw), dem Kurdistan Human Rights Network (KHRN) und vom Nationalen Widerstandsrat des Iran (NCRI). Auch Medien wie The New York Times (NYT), Washington Post, The Guardian, die British Broadcasting Corporation (BBC), Der Spiegel, Der Tagesspiegel, Die Zeit und andere haben in ihren Berichten zum Iran viele Opfernamen veröffentlicht.

Gesamtzahlen

Bis zum 5. Oktober 2022 registrierte HRANA 342 zivile Protestversammlungen in allen 31 Provinzen des Iran, darunter 266 Straßenproteste in 105 größeren Städten und 76 Studentenproteste an allen 69 Universitäten des Landes. Die Polizei und Basidschi griffen die Versammlungen mit Tränengas, Gummi- und Metallgeschossen und scharfer Munition an, um sie aufzulösen, und töteten dabei hunderte unbewaffnete Menschen. In den ersten drei Wochen identifizierte HRANA großenteils durch Analyse von aus dem Iran gelangtem Videomaterial und Zeugenberichten zunächst 200 Todesopfer, darunter 18 Kinder und Jugendliche.

Bis Ende Oktober 2022 schätzten IHRM und NCRI die Gesamtzahl der Todesopfer auf 450. Bis zum 8. Dezember 2022 ermittelte HRANA mindestens 481 Todesopfer der Proteste namentlich, darunter 68 Minderjährige. Hinzu kamen Berichte über mindestens 164 namentlich ungenannte Todesopfer. Zudem seien 61 Regimekräfte getötet worden. Bis Ende Januar 2023 registrierte IHR mindestens 488 bei Straßenprotesten getötete Menschen, darunter 64 Kinder und 39 Frauen. Die Zahl umfasse nicht die hingerichteten und die unter verdächtigen Umständen, etwa durch angeblichen Suizid, gestorbenen Demonstranten. HRANA zählte bis Ende Januar 2023 mindestens 527 Getötete, darunter 71 Minderjährige. Laut NCRI töteten die Regimekräfte bis Ende Januar 2023 bei Protesten in mindestens 282 Städten des Iran insgesamt mehr als 750 Menschen und inhaftierten mehr als 30.000. Vom 1. Oktober 2022 bis Ende März 2023 publizierte NCRI 675 Opfernamen. Unter den Inhaftierten waren im November 2022 bis zu 1.000 Minderjährige.

Das Regime ließ monatelang nur über getötete Polizisten und Milizen berichten. Ende November 2022 räumte ein General der IRGC erstmals ein, bei den Protesten seien mehr als 300 Bürger des Iran getötet worden, darunter viele Unbeteiligte. Die staatliche Nachrichtenagentur IRNA gab am 5. Dezember 2022 an, bei den Protesten seien „bis zu 200“ Demonstranten, Zivilisten und sogenannte Sicherheitskräfte getötet worden. Menschenrechtsorganisationen schätzen die offiziellen Zahlenangaben als weit zu niedrig ein. Sie gehen von einer hohen Dunkelziffer an weiteren Getöteten aus.

Ein Grund dafür ist, dass das Regime des Iran tausende Menschen willkürlich festnimmt oder entführt, viele ohne rechtsstaatliche Verfahren tötet und ihre Leichen nicht den Angehörigen übergibt, sondern verschwinden lässt. Medienrecherchen und strafrechtliche Ermittlungen sind unter der Diktatur des Iran verboten, nur illegal möglich und dann mit großen Risiken für Zeugen, Investigativjournalisten, Menschenrechtsaktivisten und Anwälte verbunden.

Todesurteile und Hinrichtungen

Zusätzlich zu den Morden auf offener Straße oder in Haft lässt das Regime des Iran seit Dezember 2022 Bürger, die bei Protesten oder in deren Zusammenhang festgenommen wurden, nach Schauprozessen und willkürlichen Todesurteilen öffentlich hinrichten. Vier Fälle wurden bisher bekannt:

  • Mohsen Schekari, 23, Barista und Rapper, hingerichtet am 8. Dezember 2022,
  • Majidreza Rahnavard, 23, öffentlich gehängt am 12. Dezember 2022,
  • Mohammad Mehdi Karami, 22, Karate-Sportler, hingerichtet am 7. Januar 2023,
  • Seyed Mohammad Hosseini, 20, hingerichtet am 7. Januar 2023;
  • Saleh Mir Hashemi (36),
  • Majid Kazemi (30),
  • Saeed Yaghoubi (37), alle drei wegen angeblichen „Kriegs gegen Gott“ (Moharebeh) am 19. Mai 2023 erhängt.

Diese Taten gelten international als Justizmorde. Wegen der großen Menge der bei den Protesten Festgenommenen und der historischen Erfahrungen mit dem Regime wird eine hohe Zahl solcher Morde erwartet.

Ende Januar 2023 waren laut IHR mindestens 107 Protestierende mit der Hinrichtung bedroht: Sie wurden wegen Tatbeständen angeklagt oder bereits verurteilt, für die das Regime die Todesstrafe vorsieht. Zudem registrierte IHR seit Jahresbeginn 2023 mindestens 55 Häftlinge, die wegen angeblicher gewöhnlicher Straftaten hingerichtet wurden, großenteils von denselben Instanzen wie die Demonstranten und ebenfalls ohne rechtsstaatliche Verfahren. Die Todesstrafe im Iran dient laut IHR zur systematischen Einschüchterung der ganzen Zivilgesellschaft und ist dort immer politisch motiviert. Da die Angehörigen gezwungen werden, zu schweigen, sei die tatsächliche Zahl der von der Todesstrafe Bedrohten höher.

Nach Amnesty International und anderen verlässlichen Quellen wurden bis dahin folgende iranische Bürger zum Tod verurteilt:

  • Amir Nasr-Azadani (26),
  • Mohammad Boroughani (19),
  • Hamid Ghare-Hasanlou,
  • Mohammad Ghobadlou (23),
  • Seyed Mohammad Hosseini (20),
  • Mohammad Mehdi Karami,
  • Soheil Khoshdel (17),
  • Sadrat (Sedarat) Madani,
  • Hossein Mohammadi (26),
  • Manouchehr Mehman Navaz,
  • Sahand Nourmohammad-Zadeh,
  • Ebrahim Rahimi,
  • Saman Yasin, auch Saman Seydi (29),
  • ein Unbenannter von 16 wegen „Korruption auf Erden“ Angeklagten.

Ab Januar 2023 wurde zum Tod verurteilt:

  • Dschawan R. aus Nouschahr.

Weiteren Protestteilnehmern droht die Todesstrafe wegen Anklagen auf angeblich todeswürdige Verbrechen:

  • Reza Eslamdoost,
  • Akbar Ghafari,
  • Mohsen Rezazadeh Gharagholou,
  • Abolfazl Mehri Hossein Hajilou,
  • Hajar Hamidi,
  • Shahram Marouf-Mola,
  • Ebrahim Rigi (Riki),
  • Toomaj Salehi,
  • Karwan Shahiparvaneh,
  • Saeed Shirazi,
  • Farzad (Farzin) Tahazadeh,
  • Farhad Tahazadeh.

Viele weitere Todesurteile und eine unbekannte Zahl von nichtöffentlich Hingerichteten werden befürchtet.

Liste der Opfer

Die Dokumentationen von HRANA (1), IranWire (2), dem Spiegel (3), AI (4), IHR (5), dem NCRI (6) und IHRM (7) enthalten regulär die Namen der Menschen, die Regimekräfte bei oder nach den Protesten im Iran seit 16. September 2022 getötet haben. Die angegebenen Belege umfassen meist Datum und Ort ihres Todes sowie, falls ermittelt, auch ihr Alter und einige Todesumstände. Die folgende Liste präsentiert die wichtigsten veröffentlichten Angaben chronologisch. Die Namen von nach Schauprozessen Hingerichteten sind farblich grau markiert.

Weiterführende Informationen

Weblinks

  • Victims of Iranprotests 2022. Iranprotests.com
  • The Fallen for Freedom. NCRI Women Committee (erste von bisher zehn Dokumentationsseiten)
  • Liste der Menschen, die bei den Protesten im Iran seit 16. September 2022 getötet wurden. Labournet
  • Omid Rezaee: Proteste im Iran. Diesen Menschen droht die Hinrichtung. Zeit.de, 17. November 2022

Literatur

  • Human Rights Activists News Agency (HRANA): Iran Protests 2022 - Detailed Report of 82 Days of Nationwide Protests in Iran. Human Rights Activists, September bis Dezember 2022, ISBN 978-1-7370668-5-9 (Volltext online)

Einzelnachweise


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